Podiums-Diskussion mit dem abtretenden Kommandanten Joel Löpfe und dem künftigen Kommandanten Matthias Hitz
Welche Rolle spielt der Zivilschutz aus eurer Sicht für die Bevölkerung in der normalen Lage?
Joel: Meine Wahrnehmung ist, dass die Bevölkerung weiss dass es den Zivilschutz gibt. Was er allerdings macht, ist bei ihr nicht präsent. Erst bei Ereignissen stellt sie fest, dass der Zivilschutz nicht bloss aus “Nagelseminaren” und “Nussgipfeli” besteht. Genau diese Feststellung sollen und wollen wir fördern. Es ist auch im Sinne des Volkes bei Entscheiden, die den Zivilschutz betreffen, mitbestimmen zu können. Ich habe eine positive Grundstimmung erlebt, aber eben auch ein sehr schwammiges Verständnis von den Aufgaben des Zivilschutzes.
Matthias: Ich habe häufig das Gefühl, dass der Zivilschutz auch ein wenig belächelt wird. Teils denken die Leute, Zivilschutz heisse, im Wald Cervelats bräteln zu gehen. Sie haben keine Vorstellung was der Zivilschutz im Ernstfall leisten kann. Man kennt das Aufgabenspektrum gar nicht, weil man ihn praktisch nie braucht.
Joel: Genau. Der Zivilschutz ist im aktiven Wissen der Bevölkerung schlicht nicht präsent.
Also zusammengefasst: Die Bevölkerung weiss, dass es den Zivilschutz gibt, jedoch nicht, was er macht und was er zu leisten im Stande ist?
Beide: Ja, das trifft es.
Und was ist mit der ausserordentlichen Lage? Wie passt es zusammen, dass der Zivilschutz einerseits als “Hobbyverein” betrachtet wird, in der ausserordentlichen Lage aber gleichzeitig das Vertrauen geniesst, die Situation in den Griff kriegen zu können? Glaubt ihr, dass der Zivilschutz über ein tief verankertes Vertrauen in der Bevölkerung verfügt?
Matthias: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, uns als Gesellschaft geht es “zu gut”, als dass der Stellenwert des Zivilschutzes in der Bevölkerung stärker verankert sein könnte. Man muss sich kaum mehr mit der Frage “Was ist, wenn es nicht gut läuft?” auseinandersetzen. Es kann ja natürlich nicht sein, dass der Zivilschutz deswegen im Wald Cervelats bräteln geht. Das ist nicht unser Auftrag. Aber in der ganzen Schweiz erlebt man den Zivilschutz halt auch bei Einsätzen wie dem eidgenössischen Schwingerfest, was mit der Bewältigung einer ausserordentliche Lage nur wenig zu tun hat. Und was alles hinter den Kulissen geschieht, damit der Zivilschutz einsatzbereit ist, entgeht der öffentlichen Wahrnehmung.
Joel: Ich glaube auch nicht, dass die Bevölkerung ein tiefgehendes Vertrauen in den Zivilschutz hat. Aber auch keine Abneigung oder sonstige Emotionen. Die Bevölkerung nimmt den Zivilschutz schlichtweg nicht wahr, sofern er nicht gerade im Einsatz ist. Er ist in den Köpfen der Bevölkerung praktisch nicht existent.
Wie hat Matthias Joel als Kommandanten erlebt?
Matthias: Ich habe Joel als überaus zugänglich, offen, stets top motiviert und gleichermassen motivierend erlebt. Auch nach vielem Grübeln könnte ich kaum etwas Negatives über ihn sagen. Ich sehe lediglich Verbesserungspotenzial, wenn es darum geht, auch mal auf den Tisch zu hauen und “Nein” zu sagen.
Joel: Dem stimme ich völlig zu (lacht).
Matthias: Es hat wirklich sehr gut mit Joel als Bataillonskommandanten funktioniert und er hat viel erreicht, eine ordentliche Transformation angestossen und die RZSO Olten in eine zukunftsweisende Richtung weiterentwickelt.
Matthias, was hast du an Joel besonders geschätzt?
Matthias: Seine Hilfsbereitschaft, Unterstützung und das Wohlwollen. Das hat sich letztlich auch als motivierender Faktor über alle Stufen erwiesen.
Joel, warst du dir deiner Wirkung bewusst oder kommt das überraschend?
Joel: (Lacht) Ohne arrogant klingen zu wollen – ja, ich war mir der Wirkung bewusst. Ich habe ja auch darauf abgezielt, genau so zu wirken, denn das entspricht auch meiner Natur. Ich bin von Grund auf überzeugt, dass ich mit Befähigung und Unterstützung mehr erreiche als wenn ich einfach nur fordere. Deswegen war es mir auch stets wichtig, offene und ehrliche Rückmeldungen zu meinem Führungsstil zu erhalten. Nur so konnte ich mich auch als Führungsperson verbessern.
Kehren wir den Spiess um: Joel, was hast du an Matthias besonders geschätzt?
Joel: In den letzten paar Monaten hatte ich besonders viel Kontakt mit Matthias, auch wegen der Übung “DEDIZIONE”. Aber auch letztes Jahr bei der Tiefenrettung-Übung “Schlucht” hatte ich über einige Wochen intensiven Kontakt zu ihm. Dabei habe ich Matthias als zielorientierte Person wahrgenommen; als Mensch mit einem Ziel, der einen Plan ausarbeitet und verfolgt, dieses zu erreichen. Dabei hat er stets eine gute Qualität geliefert. Ich habe rasch gemerkt, dass wenn ich Matthias eine Aufgabe übertrage, dann kommt das gut. Er scheut sich auch nicht, auf den Tisch zu hauen. Hier hätte ich mir eine Scheibe von ihm abschneiden können. Dabei bleibt er jedoch stets konstruktiv, was mir auch sehr wichtig ist.
Matthias, denkst du dass dich das als Kommandant besonders qualifiziert?
Matthias: Nein (lacht). Ich kann dir überhaupt nicht sagen, ob und welche Eigenschaften mich als Kommandanten besonders qualifizieren. Ich könnte mich auch nicht komplett anpassen, um den Anforderungen gerecht zu werden.
Joel: Das solltest du auch unter keinen Umständen tun.
Matthias: Genau. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich sehr gut in ein Team einbringen kann und dieses auch führen kann. Ich kann Verantwortung übernehmen und delegieren. Diese Erfahrungen reichen zurück bis zu meiner Zeit bei der Pfadi und wurden später auch im beruflichen Kontext angereichert. Daher bin ich zuversichtlich, dass ich auch meiner neuen Aufgabe als Zivilschutzkommandant gewachsen bin, auch wenn ich nicht die “eine” Eigenschaft nennen kann, die mich hierfür prädestiniert.
Wie wird eine reibungslose Übergabe der Aufgaben sichergestellt?
Matthias: Bereits zum Zeitpunkt dieser Podiumsdiskussion habe ich mit Joel eine Woche verbracht, in welcher wir die Übergabe der Aufgaben angegangen sind. Er ist mir hierbei eine wertvolle Hilfe.
Joel: Für mich war das wichtigste, dass das Netzwerk aufgebaut ist. Die verschiedenen Anspruchsgruppen sollten Matthias kennenlernen und Matthias wiederum sollte wissen, an wen er sich bei welcher Fragestellung wenden kann. Das wird für einen reibungslosen Übergang essenziell sein. Weiter habe ich von Anja Baumann und Thomas Lüthi wertvolle Unterstützung erhalten, die natürlich auch Matthias in Anspruch nehmen können wird. Zu guter Letzt bleibe ich Matthias noch in meiner Rolle als Kommandant der Stabskompanie erhalten, sodass er jederzeit auf mich zurückgreifen kann.
Matthias: Das sehe ich genauso. Joel und ich funktionieren hervorragend zusammen und er hat mich bereits in einige Prozesse eingeführt, welche ich schon heute aktiv begleite. Die Unterstützung von Anja und Thomas ist überaus wertvoll, aber auch die Stakeholder beim Kanton gewährleisten eine reibungslose Übergabe.
Welche Projekte sind noch offen und wie sollen sie weitergeführt werden?
Joel: Ich bin sehr zuversichtlich, dass Matthias gerade im Bereich des regionalen Führungsstabs mit einem neuen Ansatz mehr erreichen können wird. Da erhoffe ich mir, dass Matthias gemeinsam mit dem Kanton eine grossangelegte Übung durchführen wird. Auf den Zivilschutz bezogen wird Matthias die Generalisierung der AdZS weiter vorantreiben, um diese multifunktionaler und breiter abgestützt einsetzen zu können.
Matthias: Dem schliesse ich mich an. Abgesehen von der RFS-Übung geht es weniger um Vorhaben mit Projektcharakter, sondern mehr um laufende Prozesse. Ich mache mir keine Sorgen, dass das funktionieren wird. Ich habe ja gute Unterstützung.
Joel: Absolut. Und bei vielen laufenden Vorhaben bist du ja bereits Teil davon. Sei es nun die periodische Schutzraumkontrolle, die sich ändern wird, die Anpassung der Leistungsaufträge, welche auf dich zukommen wird, oder auch die Kaderausbildung, welche ich initiiert habe.
Welche Stärken hat das Kader?
Matthias: Ich habe das Kader als gut funktionierende Einheit kennengelernt, welches untereinander und miteinander hervorragend funktioniert. Das muss die Stärke des Kaders bleiben. In einer Krise ist es unabdingbar, dass das Kader gut funktioniert und es wird meine Aufgabe sein, dies sicherzustellen.
Joel: Dem schliesse ich mich an, ein funktionierendes Kader ist das A und O einer erfolgreichen Ereignisbewältigung.
Welche Aspekte sind verbesserungswürdig?
Matthias: Es liegt mir sehr am Herzen, dass wir digital und vernetzt zusammenarbeiten. Hier haben wir definitiv Verbesserungspotenzial, welches wir nutzen können.
Joel: Das ist ein sehr guter Punkt! Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits unternommen, aber vermutlich hätte ich auch hier etwas mehr auf den Tisch hauen dürfen (beide lachen).
Matthias: Mir ist das sehr wichtig, dass wir effizient und effektiv zusammenarbeiten können, da kommen wir um die Digitalisierung schlicht nicht herum. Das wird die Arbeit mit Stift und Papier nicht vollends ersetzen, aber zumindest bereichern und vereinfachen. Davon abgesehen müssen wir einen Anreiz schaffen, um mehr AdZS für Kaderfunktionen zu gewinnen. Ich hoffe hier von meinen Erfahrungen in der Pfadi profitieren zu können, denn Pfadi macht jeder freiwillig.
Wir sprachen von der Digitalisierung. Unter Joel haben wir eine Webseite geschaffen und derzeit läuft die Inbetriebnahme eines NAS als gemeinsame Dateiablage. Welches Potenzial in der Digitalisierung seht ihr noch?
Matthias: Die Chancen der Digitalisierung sind altbekannt. Wir können transparent und kollaborativ zusammenarbeiten. Damit ist auch für den Fall vorgesorgt, dass eine Kaderperson ausfällt, denn die Dateien können dann auch von einem Stellvertreter genutzt werden.
Joel: Weiter ist sichergestellt, dass wir von bisherigen Erzeugnissen profitieren können. Gerade im Bereich des Wissenstransfers ist das essenziell. Beispielsweise können Lektionsskizzen zentral abgelegt und zur Verfügung gestellt werden, sodass bei der Lektionsplanung stets auf diese wertvollen Ressourcen zugegriffen werden kann. Wir müssen davon ausgehen, dass wir in einer Krise auf Stift und Papier zurückgreifen müssen. Das sollte uns aber nicht daran hindern, in der normalen Lage optimal zusammenzuarbeiten. Ich sehe in der Digitalisierung auch eine Chance für Notfallpläne, was die Alarmierung betrifft. Denn unsere heutige Alarmierung ist heute grossteils von einem funktionierenden Mobilfunknetz abhängig. Aber auch das ganze Aufgebotswesen hätte gewaltige Chancen mit der Digitalisierung. Diese beiden Punkte liegen zwar nicht alleine bei Matthias, möglicherweise könnte er hier jedoch die notwendigen Inputs geben.